"Als nächstes wird der Staatsmann billige Lügen erfinden, die die Schuld der angegriffenen Nation zuschieben, und jeder Mensch wird glücklich sein über diese Täuschungen, die das Gewissen beruhigen. Er wird sie eingehend studieren und sich weigern, Argumente der anderen Seite zu prüfen. So wird er sich Schritt für Schritt selbst davon überzeugen, dass der Krieg gerecht ist und Gott dafür danken, dass er nach diesem Prozess grotesker Selbsttäuschung besser schlafen kann." Mark Twain - 'Der geheimnisvolle Fremde'

Donnerstag, 29. Juli 2010

Nummus non nummum parit!

Geld soll nicht Geld gebären können. Ein uraltes Problem der Menschheit – das Zinsproblem – ist in den knappen Worten dieses altrömischen Rechtssatzes ausgesprochen. – „Du sollst von einem Bruder nicht Wucher nehmen!“ fordert die Bibel.

Es lehnt sich etwas in uns dagegen auf, daß Geld als eine an sich unfruchtbare Sache aus sich selbst heraus wächst, vermöge des Zinses; es widerstrebt unserem sittlichen Empfinden, daß reiner Geldbesitz ohne Hinzutun eigener werktätiger Arbeit sich vergrößert vermöge des Zinses. Die Begründungen der Nationalökonomen für die Berechtigung des Zinses wollen nicht recht verfangen; besonders da nicht, wo das Hauptargument für den Zins, das mit dem Geldverleihen verbundene Risiko, ein Minimum wird. Dies ist der Fall bei der überwältigenden Masse der festverzinslichen Anlagen, bei denen es sich großenteils um Werte handelt, die durch die gesetzliche Zuerkennung der Mündelsicherheit eine Minimalgrenze der Verlustmöglichkeit erreichen, so daß bei diesen von einem besonderen Risiko keine Rede sein kann. Bei anderen weniger sicheren Kapitalanlagen – Aktienunternehmungen, - steht dem größeren Risiko die größere Gewinnmöglichkeit gegenüber. Wir haben bei diesen Werten auch schon die Grenze überschritten für den engeren Begriff des Leihkapitals.

Was ist Leihkapital? Leihkapital sind Schulden! Dies wird immer nur zu sehr übersehen. Nicht 100 Milliarden Kapital in Gestalt von Kriegsanleihen besitze das deutsche Volk, sollte man sagen, sondern 100 Milliarden Schulden hat das deutsche Volk, wofür es die Leihzinsen aufbringen muß; dazu noch 25 Milliarden Anleiheschulden der Staats- und Reichseisenbahnen, wofür es ebenfalls die Zinsen aufbringen muß; dazu noch 12 Milliarden Schulverschreibungen der Bodenkreditinstitute; dazu noch 11 Milliarden Pfandbriefe der Hypothekenbanken, wofür das Volk in Gestalt von teueren Mieten die Zinsen bezahlen muß; dazu noch 6 Milliarden Schulverschreibung der deutschen Städte und Gemeinden, die das deutsche Volk verzinsen muß. Für alle diese Kapitalien muß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit arbeiten um der Zinsen willen.

Weit über 200 Milliarden derartiger Schuldverschreibungen muß das deutsche Volk verzinsen. Dafür muß die gesamte werktätige Bevölkerung Deutschland von nun an fronen in alle Ewigkeit um des ewigen Zinses willen!

Es ist nun außerordentlich bemerkenswert, daß unsere ganze sozialistische Gedankenwelt von Marx und Engels bis herauf zu Erfurter Programm und dessen wesentlichsten Interpreten Kautsky sich nicht in erster Linie gegen dieses Leihkapital wendet, sondern mit fanatischer Schärfe geflissentlich das industrielle Großkapital als den Fluch für die Arbeiterschaft bezeichnet. Der ersten grundlegenden Frage nach der Richtigkeit des so gerichteten Kampfes müßte eine genaue Untersuchung der in unserer Großindustrie investierten Kapitalien vorangehen. Es wird wohl für die meisten Leser eine Überraschung sein, zu hören, daß dem oben nur ganz summarisch zusammengerechneten weit über 200 Milliarden festverzinslichen Schuldtitel nur 11.8 Milliarden Aktienkapital unserer deutschen Industrieunternehmungen gegenüberstehen. Man wolle sich klarmachen, daß auf allen Gebieten, und zwar in unserer Industrie für Eisen und Kohlen, für Kleidung und Textilwaren, für Steine und Erden, Bergwerke und Schiffahrt, Holz und Glas, in unserem Baugewerbe, in den riesigen chemischen Fabriken, in unserer einst weltbeherrschenden elektrischen Industrie, in unseren Maschinen- und Lokomotivfabriken, Werften und Papierfabriken, in der Transport- und Lebensmittelindustrie, kurz: in dem unendlich weiten Gebiet aller Industrien, nur 11.8 Milliarden unseres Volksvermögens investiert sind.

Wir haben durch diese Feststellung eine Plattform gewonnen für die weitere Behandlung unseres Problems. Es ist für alle derartigen Zeitfragebehandlungen großen Stiles von grundlegender Wichtigkeit, sich über die Größenordnungen der in Betracht kommenden Faktoren klar zu werden. Es ist gleichgültig, ob die einzelnen Ziffern um 10-20 % nach oben oder unten schwanken, dagegen ist eine zuverlässige Feststellung der Größenordnung der verschiedenen Zahlengruppen unerläßliche Voraussetzung.

20:1 ist also ungefähr das Verhältnis des festverzinslichen Leihkapitals zum Industriekapital. Die ist die erste grundlegende Feststellung. Rund 10 Milliarden erfordert die Verzinsung der in Deutschland vorhanden festverzinslichen Schuldverschreibungen. Rund 1 Milliarde war das Erträgnis der Dividenden sämtlicher deutschen Aktiengesellschaften. Auch dieses Verhältnis von rund 1:10 muß als zweite Grunderkenntnis im Auge gehalten werden. Noch über ein Drittes müssen wir uns klar werden. Das ist das anwachsen der beiden Kapitalgruppen.

…Es kann nicht genug betont werden, daß die Erkenntnis der mathematischen Gesetze, denen Leihkapital und Industriekapital folgen, uns allein den klaren Weg zeigt, wo der Hebel einzusetzen ist für eine Umwälzung unserer zerrütten Finanzwirtschaft. Wir erkennen klar, daß nicht die kapitalistische Wirtschaftsordnung, nicht das Kapital als solche die Geißel der Menschheit ist: Das unersättliche Zinsbedürfnis des Gross-Leihkapitals ist der Fluch der gesamten arbeitenden Menschheit!

Kapital muß sein – Arbeit muß sein! Arbeit allein vermag wenig – Kapital allein soll nicht vermögen!

Kapital ohne Arbeit hat steril zu sein! Deshalb ist die wichtigste Forderung, die vornehmste Aufgabe der Revolution, der vernünftigste Sinn einer Weltrevolution die Brechung der Zinsknechtschaft.

Feder Gottfried; Kampf gegen die Hochfinanz, 1935, 384 Seiten

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